Paul
Zoller (Inszenierung) lässt die Oldenburger La Bohème im Hier und Heute spielen.
Die Künstler treffen sich im ersten Bild nicht in einer abgerockten Pariser
Wohnung, sondern vor einer Imbissbude mit Plastikstehtischen. Sie trinken Dosenbier und verbrennen, um sich
zu wärmen, Rodolfos Manuskript in einem kleinen Mülleimer. Hier wird nix Romantisiert. Über
der Szenerie hängt ein riesiger Weihnachtsstern und suggeriert dem Zuschauer
die Parallelen zwischen dem Setting von einst in der Krippe und dem vor dem
Bretterbüdchen.
Im schrillen
Kontrast dazu spielt das zweite Bild in einem glitzernden Bling-Bling Glamour-Kaufhaus
á la KaDeWe. Die Künstler sind Teil der Deko. In Eisbären- und Elchkostümen finden
sie sich zwischen überdimensionalen Sektflaschen, Weihnachtsmännern und Hummern
wieder. Drumherum wuselt der vorweihnachtliche schrille Konsumwahnsinn. Verstärkt wird
das Ganze indem der Chor überall im Zuschauerraum positioniert wird. Mit Einkaufstüten
und Kindern an den Händen eilen sie durch die Reihen und Ränge. Konfetti
wird ins Parkett geworfen und Pagen weisen den Weg. Ein recht gelungenes Bild,
wie ich finde, das den Kontrast der prekären Tristesse im
ersten Bildes unterstreicht.
Im
dritten Bild folgt der weitere Absturz. Die Protagonisten streifen allein und
resigniert durch die post-weihnachtlichen Müllberge. Kehren für den
unumgänglichen Tod Mimis nocheinmal zu der Imbissbude zurück. Dort erlischt
bedeutungsschwanger der Weihnachtsstern. Mimi versucht im Todeskampf Intimität
zu Rodolfo herzustellen und reißt sich die Kleider vom Leib. Doch scheitert
auch darin. Dieses letzte Bild ist auf eine für die Bohème ungewohnt
unkitschige Weise sehr herzzerreißend. Mimi stirbt allein, während die anderen hilflos daneben stehen.
In
musikalischer Hinsicht war die Aufführung auf einem soliden Niveau: Roger Epple
führte das Orchester sehr klangdicht durch die Partitur. Leider hier und da mit etwas
zu viel Wums, so dass es die Sänger des Öfteren schwer hatten dagegen
anzusingen. Angela Bic sang die Mimi sehr ausdifferenziert, mit viel Schmelz und
sorgte insbesondere im letzten Bild für Gänsehaut. Daniel Ohlmann (Rodolfo) ließ sich
als leicht indisponiert ansagen, konnte aber dennoch überzeugen. Inga-Britt
Anderson als Musetta und Paul Brady als Marcello waren hervorragend besetzt. Und
wirklich umgehauen hat mich Benjamin LeClairs (Colline) Interpretation der „Mantelarie“.
Danke für deinen Bericht aus Oldenburg. Ich habe kürzlich die Salome aus Oldenburg als Gastspiel in Coesfeld gesehen. Auch das hat mich überzeugt.
AntwortenLöschenDann 'haue' ich auch mal 'in die Tasten', nachdem ich nunmehr die Bohème in Oldenburg gesehen habe. Die Aufführung am 11.12. war in einer Rolle anders besetzt als bei der von Sarah Maria besuchten: Mareke Freudenberg sang die Musetta (statt Inga-Britt Anderson); auch sie war gesanglich ausgezeichnet, jedoch ist sie m. E. wohl zu sehr 'höhere Tochter', als dass sie die vordergründig frivol-vulgäre Art der Musetta authentisch verkörpern könnte.
AntwortenLöschenAnsonsten finde ich Deine Beschreibung und (positive) Kritik der Inszenierung und musikalischen Darbietung ohne Einschränkung nachvollziehbar. Die gedrosselte Sentimentalität überzeugte durchweg!